„My Dark Vanessa“ von Kate Elizabeth Russell

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„2000. Bright, ambitious, and yearning for adulthood, fifteen-year-old Vanessa Wye becomes entangled in an affair with Jacob Strane, her magnetic and guileful forty-two-year-old English teacher.
2017. Amid the rising wave of allegations against powerful men, a reckoning is coming due. Strane has been accused of sexual abuse by a former student, who reaches out to Vanessa, and now Vanessa suddenly finds herself facing an impossible choice: remain silent, firm in the belief that her teenage self willingly engaged in this relationship, or redefine herself and the events of her past. But how can Vanessa reject her first love, the man who fundamentally transformed her and has been a persistent presence in her life? Is it possible that the man she loved as a teenager—and who professed to worship only her—may be far different from what she has always believed?“

Eine ganze Weile habe ich mich vor dieser Rezension gedrückt. „My Dark Vanessa“ von Kate Elizabeth Russell ist keine Wohlfühllektüre – im Gegenteil. Die 15-jährige Vanessa geht am Internat eine Liebesbeziehung mit ihrem 42-jährigen Lehrer ein, sie betont, dass es genau das ist, was sie möchte. Ab und zu schimmert durch, dass sie noch nicht bereit ist. Doch ab welchem Punkt kann man wirklich wissen, was man möchte? Ist man tatsächlich mit Abschluss des 18. Lebensjahres plötzlich in der Lage vorherzusehen, welche Konsequenzen bestimmte Handlungen auf das restliche Leben haben werden?

Wir alle streben nach Anerkennung. Manche sehnen sich mehr danach, manche weniger, als etwas Besonderes auserkoren zu werden, mit schönen Gesten und Komplimenten auf ein Podest gehoben zu werden. Von einer Respektperson gesehen und verstanden zu werden. Vanessa ist einsam. Zu ihrer ehemaligen besten Freundin hat sie keinen Kontakt mehr, sie ist eine Außenseiterin und bemüht sich nicht, etwas daran zu ändern. Als Jacob Strane beginnt, ihr Aufmerksamkeit zu schenken, passt es zu dem Bild, das sie von sich hat: Sie ist anders als die anderen. Reifer. Erwachsener. Sowieso wäre niemand in der Lage zu verstehen, was Strane und sie füreinander empfinden.

Die Liebe, die zwischen den beiden herrschen mag, ist schwer greifbar. Darin liegt ein großer Teil der Problematik: Jacob Strane ist pädophil, verliebt sich in junge Mädchen und verliert das Interesse, wenn diese die Pubertät überschritten haben. Zwischen ihm und Vanessa entsteht ein Draht – sie finden beide etwas ineinander, das in gewisser Weise eine Leere in ihnen füllt. Strane findet in ihr jemanden, der seine Fantasien erfüllt und gleichzeitig in vielerlei Hinsicht auf Augenhöhe mit ihm kommuniziert. Vanessa erhält Bewunderung und Anerkennung von einem Mann, den sie bewundert, auf einer Ebene, die sie zuvor noch nicht erlebt hat. Für beide spielt Macht eine Rolle.

Was ist Liebe? Die Frage drängt sich auf, sobald sie mit etwas Verbotenem oder Unmoralischem in Verbindung steht. Dass Strane Vanessa manipuliert ist aus der Distanz der Lesenden schnell erkennbar. Vanessa gleicht jede weitere Beziehung in ihrem Leben mit dieser ersten Erfahrung ab – doch ist das ihrem Alter geschuldet, in dem sie diese Erfahrung gemacht hat? Oder entspricht es ihrem Charakter, sich voll und ganz von einem anderen Menschen einnehmen zu lassen? Empfindet sie ihm gegenüber diese Abhängigkeit, nicht weil sie ihn liebt, sondern sich selbst, durch seine Augen betrachtet? Doch wer ist sie ohne Strane? Und wer wäre sie gewesen, hätte es Strane in ihrem Leben nie gegeben?

Dieses Buch hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. „My Dark Vanessa“ ist eine interessante und vielschichtige Lektüre, wenn auch nicht immer leicht zu verdauen.

Kate Elizabeth Russell: My Dark Vanessa. Harper Collins Publishers. ISBN: 978-006-294-1503. 384 Seiten. 16,50€.

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