„Gestern war auch schon ein Tag“ von Finn-Ole Heinrich

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„Susan fehlt ein Bein. Tom ist die Treppe runtergefallen. Und Henning lügt so lange, bis er die Wahrheit sagt. Finn-Ole Heinrich erzählt von Menschen, die ins Schwanken gekommen sind, die das Leben mit aller Härte umgeworfen hat. Und die nun wieder aufstehen müssen.“

Dieses Buch hat mich völlig zufällig gefunden. Bei einem Abstecher zur Buchhandlung Jakob in Nürnberg entdeckte mein Freund Morgellohn von Jan Wehn, das er vor einigen Jahren vergeblich überall gesucht hatte. Während unserer anschließenden Bahnfahrt zurück nach Berlin las er das Büchlein in einem Rutsch und ging dann über zur Papierstau-Podcastfolge mit ihm. In dieser Folge erzählt Jan Wehn wiederum von einer Kurzgeschichtensammlung, die ihn schwer beeindruckt hat. Hier der Wortlaut:

„Für mich am prägendsten sind [von Finn-Ole Heinrich] auf jeden Fall diese Erzählbände, weil er darin Themen auffasst, über die ich nach dem Lesen noch lange nachdenken musste. Zum Beispiel gibt es da eine Geschichte, in der ein Paar das Krankenhaus verlässt, nachdem der Frau ein Bein abgenommen wurde. (…) In der Geschichte geht es darum, dass der Partner natürlich Mitgefühl empfinden soll und sie unterstützen möchte, aber eigentlich immer nur daran denken kann, wie das Leben zwischen den Beiden weitergehen soll – das intime Leben zum Beispiel. Das war eine total beeindruckende Geschichte. Eine andere erzählt von einem älteren Mann, der aus Gründen der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme als Nikolaus in der Weihnachtszeit im Kaufhaus sitzt und Kindergeschichten vorliest – und pädophil ist. Diesen inneren Konflikt trägt er aus während diese Kinder auf seinem Schoß sitzen.“

Wenige Klicks später hatte ich Gestern war auch schon ein Tag bestellt. Finn-Ole Heinrich schreibt außergewöhnliche Kurzgeschichten. Sie sind intensiv, ehrlich und nüchtern geschrieben, erzählen von Außenseiter:innen und Einsamkeit und schafften es auf beeindruckende Art und Weise, sich mir als Leserin erstaunlich nah anzufühlen. Anders kann ich es gar nicht beschreiben, doch irgendwie unterscheidet sich dieses Buch gravierend von allen anderen, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Zugegeben: nicht alle haben mich umgehauen. Zwei oder drei waren dabei, mit denen ich weniger anfange konnte. Doch was am Ende blieb, ist das Bedürfnis, alles Weitere von Finn-Ole Heinrich zu lesen. Seine andere Kurzgeschichtensammlung Die Taschen voll Wasser sowie sein Roman Räuberhände liegen daher auch schon bereit.

Auch wenn das Buchcover etwas nichtssagend wirkt: Gestern war auch schon ein Tag ist grandiose Literatur.

Finn-Ole Heinrich: Gestern war auch schon ein Tag. btb Verlag. ISBN: 978-3-442-71318-9. 160 Seiten. 8,99€.

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